THEATER: „OZEANE MIT PLASTIK GEFLUTET“

OZEANE MIT PLASTIK GEFLUTET
Nicht erst seit der jüngsten Kampagne des Schauspielers und Umweltaktivisten Hannes Jaenicke ist es bekannt: In jeder Minute gelangt das Volumen eines Müllwagens voll Plastik in unsere Meere: Flaschen, Strohhalme, Kunststoffbesteck. Nördlich von Hawaii treibt ein Müllteppich sechs Mal so groß wie das Staatsgebiet von Frankreich. Spät reagiert nun auch die Europäische Union und will bestimmte Erdölprodukte aus dem Handelskreislauf ziehen.
Der Politik voraus zeigten sich die Städtischen Bühnen der Friedensstadt Osnabrück im äußersten südwestlichen Zipfel von Niedersachsen. Vor rund 12 Monaten setzte das Team um Intendant Dr. Ralf Waldschmidt und Schauspieldirektor Dominique Schnizer einen Klassiker der Kinderbuchliteratur auf den Spielplan, der eines der drängendsten Probleme der Schicksalsgemeinschaft Erde auf die Bühne bringt, und nun in seiner Bühnenversion Premiere in Osnabrück feierte:
„Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ von Michael Ende („Momo“, „Die unendliche Geschichte“) durfte in keinem Kinderbuchregal der umweltpolitisch brisanten 80er Jahre fehlen.
Endes Wunschpunsch: Klassiker im Kinderbuchregal
Zur Erinnerung: Der geheime Zauberrat Beelzebub Irrwitzer (in Osnabrück Soheil Emanuel Boroumand) ist spezialisiert auf Umweltsünden. Sein Problem: Wenige Stunden vor dem Jahreswechsel hat er noch immer nicht sein vertraglich festgelegtes Maß an Umweltübeltaten erfüllt. Zu sehr war er mit der Ablenkung des Spionage-Katers Maurizio die Mauro (Daniele Veterale) beschäftigt, der ihm vom Hohen Rat der Tiere ins Haus geschickt wurde. Außerdem sind die Menschen ja selbst schon zu Spezialisten der Umweltzerstörung geworden. „Die Tiefen sind längst schon mit Plastik geflutet“, singt er verdrossen. Nach nicht getaner Arbeit sitzt dem Laborzauberer nun der höllische Gerichtsvollzieher Maledictus Made (herrlich bürokratisch gespielt von Lutz Faupel) im Nacken, der nur darauf wartet, dem Magier den letzten Zaubermantel nebst Laborausstattung zu pfänden.
Der Besuch der bösen Tante
Guter Rat ist also teuer als unverhofft Irrwitzers Tante, die auf Wirtschaftszauberei spezialisierte Geldhexe Tyrannja Vamperl (Viola Heeß) nebst dem an sie entsandten Spionage-Raben Jakob Krakel (David Krzysteczko) durch den Kamin rauscht. Sie weiß einen Weg, wie das böse Zauberpensum doch noch erfüllt werden kann: Der sagenumwobene satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch gewährt seinem Koch alle Wünsche – allerdings nur, wenn sie, ins Gegenteil verkehrt, laut ausgesprochen werden. Während die eigentlich verfeindeten Verwandten um die Herausgabe ihrer Rezeptteile feilschen (kongenial verbissen: Boroumand und Heeß), verbünden sich Kater und Rabe (wunderbar anrührend: Krzysteczko und Veterale), um die finale Umweltkatastrophe doch noch abzuwenden.
Beste Zutaten in Osnabrück: Spielfreude und Bühnenzauber
Familienstücke in der Vorweihnachtszeit haben das Zeug zum absoluten Publikumserfolg. Denn sie werden zumeist auf der Großen Bühne gezeigt, unter Einsatz aller Raffinessen, die Drehbühne, Pyrotechnik und Schnürboden zu bieten haben. Die mittelalterlich inspirierte Wunschpunsch-Bühne der französischen Ausstatterin Juliette Collas aus Berlin schraubt sich wie eine von Weitem drohende Schlossruine spiralförmig in die Höhe. Zwischen Glyphosat-Fässern und dampfendem Hexenkessel dreht sich die Bühne, klug gelöst, zu immer neuen Szeneneinschüben.
Die Raffinesse der Szenerie (auch die detailreich gestalteten Kostüme stammen von Collas) entfaltet sich vollends erst in ihrer Bespielung – und die hat es in sich. Dramaturgie (Jens Peters, Marie Senf) und Schauspieldirektion (Dominique Schnizer) haben ein Ensemble zusammengestellt, das dem Tempo von Inszenierung und Musik (zauberhaft bis dramatisch komponiert von Michael Barfuß) mehr als gewachsen ist. Die sichtbare Spielfreude der Schauspieler könnte vermuten lassen, dass man sich lange kennt und die Produktion einer fast schon traditionsreichen Zusammenarbeit entspringt. Doch sowohl das Regie-Team als auch drei der Schauspieler (Faupel, Heeß, Veterale) feierten mit „Der Wunschpunsch“ auch ihre eigene Bühnenpremiere in Osnabrück.
Mit seiner Inszenierung beweist der in Österreich geborene Regisseur Gregor Turecek, dass er nicht nur die rasante Komödie beherrscht, sondern auch die leisen Töne, die der Inszenierung in Osnabrück erst die so berührende Tiefe verleihen. (rk)
Die Premiere war am 11.11.2018, Karten für Vorstellungen bis Januar 2019 gibt es hier.

Passen die Rezeptteile zusammen? Viola Heeß als Geldhexe Tyrannja Vamperl mit Soheil E. Boroumand als Laborzauberer Beelzebub Irrwitzer, (c) Foto: Uwe Lewandowski (oberstes Bild ebenfalls)

Hassliebe: David Krzysteczko als Jakob Krakel, Daniele Veterale als Maurizio di Mauro, (c) Foto: Uwe Lewandowski

Infernalischer Gesandter mit Draht zur Hölle: Lutz Faupel als Maledictus Made (r.) mit Soheil E. Boroumand als Beelzebub Irrwitzer, (c) Foto: Uwe Lewandowski